Bild und Geschichte 45
«In die Schule geh ich gerne, alle Tage lieber», trällerten wir mit dem gleichen Unverstand, mit dem wir auch die Kirche
nlieder sagen. Sehr oft war dem aber nicht so: die Schule war ein notwendiges Übel, sie bestand aus: «Läsu, Schriibu, Rächnu, Rächnu, Rächnu, Läsu, Schriibu, Rächnu», und dauerte vom 2. November bis zum 30. April, begann mit der Armenseelenmesse und endete mit dem Hinweis im Schlussgottesdienst auf die kommenden Maiandachten. Die Schule dauerte von morgens 8 Uhr bis mittags halb Zwölf und am Nachmittag von 1 Uhr bis um Vier. Die Dienstage und Donnerstage Nachmittag waren frei, wobei am Dienstagnachmittag meist die «Christoleer» mit dem Pfarrer stattfand und am Samstag war bis abends um Vier Uhr Schule. Die gebotenen Feiertage (1. Nov. Allerheiligu, 8. Dez. Maria Empfängnis, 25. Dez. Wienächtu, 1. Jan. Niwwjaar, 6. Jan. Driichinigu, 19. März St. Joosef und allenfalls ds Chilchufäscht) waren natürlich schulfrei. Wir hatten also nur 6 Monate Schule; aber ohne einen Tag Ferien dazwischen, ergab das auch 850 Stunden im Jahr; in der heutigen Sek kommt man auf 912 Stunden und wenn ich an die vielen Turn-, Zeichnungs-, Gesang-, Berufswahl- und Kochstunden denke, die wir nicht hatten, gleicht sich das aus. Sicher waren wir viel dümmer, nur da das alle waren, hat das niemand gemerkt.
Das Schulhaus, ein altes, grosses Walliserhaus, hatte 4 Zimmer, folglich gab es auch immer 4 Klassen, je nach Grösse unterschiedlich eingeteilt. Wir waren die erste Klasse oben links gemischt, zweite und dritte Klasse unten links gemischt, die vierte bis achte Klasse Mädchen oben rechts und 4 bis 8 Klasse Knaben unten rechts. Es wurde sorglich (auch in der Pause) darauf geachtet, dass Knaben und Mädchen sich möglichst wenig in die Nähe kamen. Diese Reihenfolge wurde auch beim Kirchgang in Zweierkolonne strikte eingehalten, mit dem Unterschied, dass, in der Kirche angekommen, auch in den unteren Klassen die Mädchen nach links und die Knaben nach rechts gingen (d Frowwu- und d Mannusita).
Unsere «Schüelbäicha» (Schulbank) waren Möbel für Zwei, vorne mit schräger Pultfläche oben eine Rinne mit Loch für das Tintenfass und die «Bliistifttricka» (Schreibzeugschachtel mit Schiebedeckel), unter dem Pult ein Fach für Bücher und Hefte und fix verbunden eine Holzbank mit Lehne. In der zweiten und dritten Klasse waren die Seiten aus Gusseisen, schön verziert und in der Mitte prangte das Zürcher Wappen. (Entwicklungshilfe gab es schon damals!)
Kindergarten gab es nicht und mit Sieben gings zur Schule, schon im Oktober gab es einen (manchmal neuen) «Schüelsack» (Schultornister) aus schön behaartem Fell, in grossen Familien war er dann oft auch schon arg in der Mauser, und ab der vierten Klasse bekamen die Knaben «an Schüeltricka», eine Holzkiste mit Schiebedeckel. Zwar mühsam, aber stolz trugen wir Grossen diese Kiste an einem Lederriemen um die Brust geschnallt. Besonders praktisch war sie, wenn Schnee lag, wir setzten uns auf die Kisten und hui, gings wie auf einem Schlitten rasant bergab: war zwar verboten, weil es die Wege zu rutschig machte, hat aber gerade darum umso mehr Spass gemacht.
Bei den «Grossen» gab es eine leistungsabhängige Sitzordnung, vorne in der ersten Reihe sassen die «Tubla», hinten die guten Schüler; in dieser Reihenfolge gings auch zur Kirche: so konnte jeder auf einen Blick die guten Schüler von den schlechten unterscheiden. Natürlich sass ich immer hinten, war dann aber doch ein bisschen erstaunt als ich endlich mein Studium abschloss, dass die vier «Tubla» in der ersten Reihe schon ein eignes, gutgehendes Handwerksgeschäft besassen - Aus Autos habe ich mir nie etwas gemacht, aber sie hatten eines und ich keins.
Bürchen, 27. 5. 20
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