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Autorenbildvolmar.schmid

Familienbilder über drei Generationen

Aktualisiert: 6. März 2021



In meinen Unterlagen habe ich diesen Artikel meines Vaters Felix Schmid aus dem Jahr 1994 gefunden.

Gerne bin ich bereit Ihnen über drei Generationen in unserer Familie zu erzählen. Meine Erinnerungen gehen über mehr als 70 Jahre zurück. In dieser Zeit hat sich vieles geändert, in der Familie und Schule, in Kleidung und Nahrung, in Wohnung und Arbeit, im Leben, in Vereinen, Gemeinden und Staat. Vieles davon sicher zum Vorteil, manches aber auch zum Nachteil. Ich erinnere mich an verschiedene Neurerungen, über die man heute schmunzeln kann, die aber damals von grosser Bedeutung waren.

Einige Beispiele Ich erinnere mich noch gut, dass wir in Ausserberg das elektrische Licht bekamen. Meine ersten Schulaufgaben habe ich noch unter einer Petrollampe, einem kleinen "Lusi" oder vor dem offnenen Herdfeuer erledigt. In der ersten Hälfte der zwanziger Jahre haben meine Eltern als erste in Ausserberg den russigen Kamin und die offene 'Trächa" herausgerissen und einen Holzherd in die Küche stellen lassen. Bis dahin alle und viele noch lange nachher haben ihre Mahlzeiten auf dem offenen Herd zubereitet. Ich war bereits mehrere Jahre Lehrer als ich als erster ein Paar Ski mit Metallkanten kaufte, Hickory mit Diagonalzug! Welch ein Luxus! Wir waren schon einige Jahre verheiratet, als wir als erste eine halbautomatische Waschmaschine anschafften (Meine Frau war schuld). Die meisten Frauen wuschen ihre Wäsche noch lange an der offenen Wasserleitung - auf den Knien - einen Sack darunter - im Winter die Kleider nicht selten am Boden angefroren. Neuigkeiten von auswärts und aus der weiten Welt brachten die Zeitungen. welche zweimal in der Woche erschienen - hie und da sogar achtseitig. Dafür aber hatte man die Wahl zwischen Walliser Boten, Volksfreund und Briger Anzeiger. Bis lange in die dreissiger Jahre gab es in Ausserberg ein einziges Telefon - beim Pfarrer. Eine Sensation im Dorf war, als der Pfarrer das erste Radio installieren liess. Bald war bekannt: man braucht nur an eienem Knopf zu drehen und man hört Reden - Gespräche - Musik. Es ging das Gerücht, der Pfarrer müsse nur an einem Knopf drehen und könne so in alle Stuben und Zimmer schalten und hören, was in den Familien gesprochen werde. Bis alle aufgeklärt waren, wurde manches Hausgespräch anders geführt.

Autoritäten im Dorf Im Dorf gab es drei Autoritäten, welche mehrheitlich ohne jede Kritik anerkannt wurden: der Pfarrer, der Lehrer und die Eltern. Der Pfarrer (32 Jahre in Ausserberg) war einerseits sehr fortschrittlich und aufgeschlossen, andererseits aber auch sehr autoritär. Er bestimmte was Sünde ist und was nicht, was gut oder schlecht, was erlaubt oder verboten.

Unser Lehrer war sehr streng und wer nicht leicht auswendig lernte, hatte es bei ihm sehr schwer (ich kam noch glimpflich davon). Die Eltern haben daheim klar bestimmt, was zu tun und wie es zu tun sei und die Autorität von Pfarrer und Lehrer wurde nie in Frage gestellt. Unsere Familie Meine Eltern haben 1900 geheiratet. Die Mutter hatte 13 Kinder geboren, wovon zwei bald gestorben sind. Elf Geschwister sind wir aufgewachsen, 6 Buben und 5 Mädchen. Solche Grossfamilien waren damals keine Seltenheit und Familien mit vier, fünf Kindern schon fast Kleinfamilien. Damals und noch bis zum zweiten Weltkrieg lebte man fast ausschliesslich von der Landwirtschaft. Wir hatten eine ziemlich grosse Landwirtschaft und so hiess es mithelfen, kaum dass man selber die Nase putzen oder die Schuhbändel knüpfen konnte. Man war Selbstversorger: Milch und Brot, Käse und Fleisch oder Kartoffeln und Gemüse hatte man selber, und was man im Laden holte, liess man aufschreiben, um dann im Herbst beim Verkauf einer Kuh einmal die "Essschulden" nachzuzahlen. Andere Verdienstmöglichkeiten waren sehr rar. Etwa ein halbes Dutzend arbeitete in der Lonza in Visp und ungefähr gleich viele auf der Lötschbergbahn. Ein später gutbetuchter Kleinunternehmer erzählte gelegentlich: Wenn man in den 20er und 30er Jahren Fr. 1 '000.- im Jahr verdienen konnte, musste man zufrieden sein. Zum Studieren fehlte das Geld und ein Handwerk zu erlernen, das fiel den meisten gar nicht ein und die Möglichkeiten waren sehr gering. Vielleicht schickte man einen intelligenten Jungen ins Kollegium, in der Hoffnung, dass er Priester werde. Ich selber habe vier Jahre in der Schule neben einem solchen gesessen, bei mir aber hat es nichts genutzt. Es war vorab der Verdienst unsres ältesten Bruders: Wir haben alle sechs Brüder einen Beruf erlernt. Drei wurden Maurer, alle drei später ausgewiesene Vorarbeiter; Einer war Maler und ist leider allzufrüh verunglückt. Wir beiden Jüngsten wurden Lehrer. Ich wäre mit 15 Jahren wohl kaum auf die Idee gekommen, ins Lehrerseminar einzutreten, wenn nicht mein ältester Bruder mich gedrängt hätte. Die ältern Brüder und auch noch wir jüngern haben lange den Zahltag bis auf ein kleines Sackgeld dem Vater abgegeben. Die Mädchen eine Lehre! Nicht notwendig! Die sollen lernen Strümpfe stricken, Hosen flicken und etwas kochen - das genügt zum Heiraten; das war die allgemeine Einstellung. Dazu waren Lehrstellen auch äusserst rar. Und doch haben zwei meiner Schwestern die Schule als Krankenschwester bestanden, eine im Kloster und die andere als zivile Krankenschwester.


Meine Familie Am Ostermontag 1944 habe ich einen eigenen Hausstand gegründet, und die Goldene Hochzeit haben wir inzwischen gefeiert. Ich hatte das grosse Glück, eine fromme, fleissige und verständnisvolle Frau zu bekommen. In ziemlich kleinen und in grössern Abständen sind bei uns sieben Kinder angekommen, zuerst zwei Mädchen und dann fünf Buben. Mit dem Verdienst als Lehrer konnte man keine Familie über die Runden bringen. Daher habe ich in den langen und unbezahlten Sommerferien allerlei Berufe ausgeübt. Daneben betrieben wir noch eine kleine, oft unrentable Landwirtschaft: die Kinder mussten tüchtig mithelfen, wie wir früher, und die Frau war der beste Knecht. Doch hatten wir bereits Radio und Telefon und für eine passende und genügende Lektüre wurde auch gesorgt. Die Kindererziehung lag vorwiegend auf den Schultern meiner Frau. Mit meiner Sommerarbeit auswärts und den vielen Verpflichtungen mit Vereinen war ich oft, vielleicht zu oft, nicht zu Hause. Aber die Frau hat es anscheinend doch gut gemacht, denn die Kinder sind alle einigennassen geraten. Im Herbst 1961 bin ich als Lehrer nach Visp gewählt worden und im Oktober ist die Familie nachgekommen. Damit hat sich manches geändert. Die Landwirtschaft wurde aufgegeben, und so hatte die Frau mehr Zeit für die Kinder. Die Kinder hatten nun die Möglichkeit, neben dem Besuch der Sekundarschule ihre Freizeit zu gestalten, bei Turnvereinen, Pfadfindern, beim Musikunterricht usw. Im Sommer hatten die ältern die Möglichkeit etwas zu verdienen und haben ihren Zahltag bis auf ein bescheidenes Sackgeld abgegeben. Alle konnten ihren Wunschberuf erlernen, haben heute ihr Auskommen und sind mit ihrer Arbeit zufrieden.

Meine Enkel Heute sehe ich meine Enkelkinder nachkommen, bis heute zwölf an der Zahl (wenn alles gut geht bald dreizehn), im Alter von 2 bis 25 Jahren. Sie werden viel freier und zu mehr Selbstständigkeit erzogen als dies noch bei unsern Kindern der Fall war. Küzere Arbeitszeit und freier Samstag des Vaters, für die Mutter Apparate und Maschinen im Haushalt, die viel Arbeit abnehmen: so bleibt ihnen viel mehr Zeit für die Kinder. Sie können ihnen helfen bei den Schulaufgaben, haben die Möglichkeit die vielfältigen Angebote der Freizeitgestaltung auszulesen. Bei meinen Grosskinder sind die ältesten bereits im Berufleben, einige in der Lehre und Studium, und bei den jüngern weiss man noch nciht, was aus ihnen wird.

Heutige Jugend

Trotz der vielen Möglichkeiten und Angebote von Beruflehre, Studium und Freizeitgestaltung hat es die heutige Jugend schwer, denn;

Die Autorität des Pfarrers und der Religion wird immer kleiner. Die Eltern hören und befolgen vielfach nur mehr, was ihnen gefällt und passt, und die Kinder lernen schnell.

Der Einfluss der Lehrerschaft nimmt immer mehr ab. Ich bin viel mit Lehrpersonen der OS zusammen und höre deren Sorgen und Klagen. Wollen sie einschreiten gegen Missstände wie Rauchen, Drogen, Wirtschaftsbesuch u.a., kommt bald der Einspruch der Eltern: Das ist den Kindern nicht zumutbar.

Keinem Beruf wird soviel hineingeredet wie der Lehrerschaft; denn zur Schule gegangen sind alle einmal und viele meinen, es besser zu verstehen als die Lehrer.

Unsere Kinder sollen es einmal besser haben als wir, ist ein allzugut bekannter Spruch, und man will ihnen:

alle Wünsche erfüllen,

allen Schwierigkeiten aus dem Wege gehen, ja nicht zuviel von ihnen fordern,

von Opfer und Ueberwindung keine Rede mehr,

der kleinste Knirps muss selbstverständlich sein Sackgeld haben (nichts dagegen, dass bereits die Kleinsten lernen mit Geld umzugehen).

Ob sie damit aber glücklicher sind; ist eine andere Frage. Und doch ist die heutige Jugend nicht schlechter, als wir einmal waren, wenigstens der grösste Teil. Sie ist anders, wie die Zeiten anders sind. Sicher ist sie direkter, offener und ehrlicher, auch Einsatz- und Begeisterungsfähig, wenn man sie richtig anzusprechen weiss.

Sie muss in der Zeit und mit den Umständen leben, die wir Eltern geschaffen haben, mit den Schwierigkeiten fertig werden, an denen andere schuld sind.

Wären wir anders. wenn wir nochmals jung wären! Kaum! Und es gibt sie noch, die intakten Familien, in denen Vater und Muter zusammenhalten und den Kindern die nötige Nestwärme geben, auch wenn schwindende Moral und Möglichkeiten noch und noch das Leben zu geniessen ihnen schwer zusetzen.

Auf diese Familien darf unsere Hoffnung aufbauen.

Felix Schmid, (1915 – 1995) Visp/Ausserberg, 1994 (79 jährig)

Bild: Familie des Thedor und der Maria Josepha Schmid - Imboden, in Distern, Ausserberg um 1928, mein Vater Felix Schmid (1915 - 1995 ist der Knabe aussen links

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