Habt ihr schon mal einen Kuh beim «Itricku» (Wiederkäuen) zugesehen, ihr in die grossen, braunen Augen geschaut, «wutsch» rülpst sie ein Stück Futter hoch, schiebt es mit der Zunge in die rechte Backe: kaut, kaut, kaut, schiebt es mit der Zunge in die linke Backe: kaut, kaut, kaut, dann wieder nach rechts und wieder zurück: wie in einem Mantra wird man eingelullt; mir ist jetzt auch klar, warum heilige Kühe, Yoga und Meditation alle aus der Indien kommen. «Itricku» eine so entschleunigende Tätigkeit, für die Kühe und für mich. Als Hirte hatte ich während der Mittagspause (der Kühe) ja Zeit genug, den Kühen zuzuschauen und mich zu «entschleunigen). An meiner Schule gab es Kollegen, die kaugummikauende Schüler ums Verrecken nicht ausstehen konnten, mich hingegen hat es nicht gestört; als mich mal eine Schülerin fragte, ob mich das störe, gab ich ihr zur Antwort: «Nein, als Kuhhirte bin ich es mir schon von Jugend auf gewöhnt, beim Kauen zuzusehen.» Erstaunlicher Weise ist der Kaugummigenuss massiv zurückgegangen.
Doch halt, ich schweife wieder mal ab. Noch in den Fünfziger Jahren besass praktische jede Familie als Nebenerwerbslandwirte eigenes Vieh, meist waren es zwei Milchkühe, ein Rind und ein Kälblein. Fast alle besassen rassenreines Vieh, das heisst westlich der Gamsermauer das Simmentaler Fleckvieh aus deren Milch man den «chustigu» «Chees» produzierte und östlich davon das Innerschweizer Braunvieh von dessen Milch es den «schmackhafu» «Chääs» gab. (vgl. Zweiteilung des Walliserdeutschen) Nur selten gab es in einer Herde noch die eine oder andere «Wälscha» (Eringer), die das Kommando in der Herde übernahm. Unsere Kühe waren ein typisch schweizerisches Multifunktionalprodukt, sie wurden auf Milch und Mast gezüchtet. Der alte Direktor «ds Zumi» hat uns in der Landwirtschaftlichen Schule das ganz einfach erklärt: Trapez vorne = Fleisch, Trapez hinten = Milch und für die Schweiz gilt beides, also ausgewogen, das gibt ein Rechteck. Als ich dann später die Kühe aus Limousin, Charolais mit ihren mächtigen Brustkörben oder die Holsteiner Kühe mit ihren Eutern bis auf den Boden gesehen habe, habe ich dann auch diese Formel begriffen. Eine gute Milchkuh gab vor 50 Jahren ca. 20 Liter Milch am Tag, heute ist sie bei 40 Litern! KüheBHs gab es zu unseren Zeiten noch keine. Die Kühe werden heute teilweise mit gentechnisch verändertem Kraftfutter für eine gentechnikfreie Landwirtschaft zu wahren Melkmaschinen hochgezüchtet, «will us der Schwiiz»?! Peter Bichsel würde dazu sagen: «Das sind nümme miini Chüe!» Ja, die Kühe waren unser kostbarstes Gut, jährlich wurden sie «züeglaa» (befruchtet) und jährlich gabs ein Kälbchen, die Hälfte wurde aufgezogen, die andere gemästet und verkauft. Stolz wurden sie zur «Veezeichnig» (Viehschau) getrieben und noch stolzer wurde einer «Chranzchüe» (höchste Auszeichnung, ab 95 Punkte) ein Kreuz ins linke Horn gebrannt.
Könnt ihr euch ein friedliebenderes, ruhigeres, gutmütigeres Tier als Kühe vorstellen; tiefbraune Augen, die euch treuherzig anblicken. Aber halt, aufgepasst! Bei Muttertierhaltung, «Süügerra» (die Kälber werden zusammen mit ihren Müttern auf der Weide aufgezogen) kann es vorkommen, dass die Mutterkuh Wanderer, als vermeintliche Bedrohung ihrer Kinder, vehement angreift und so die Kälber verteidigt - fast schlimmer als die jungen Frauen auf der Roten Meile ihre kleinen Hündchen, wenn man ihnen zu nahe tritt.
Bürchen, 29. Mai 20
Bildquelle: Diese Kuh habe ich vor Jahren im Berner Oberland angetroffen, ich habe sie spontan «Kleopatra» getauft.
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